Warum fundierte Diagnostik mehr ist als ein Testergebnis
- Alexandra Clavier

- 17. Nov.
- 3 Min. Lesezeit

Persönlichkeitstests liegen im Trend – vor allem im Recruiting, in der Führungskräfteentwicklung und im Coaching.
Doch wer sich allein auf ein Testverfahren verlässt, ohne die dahinterliegenden Modelle, Grenzen und Kontexte zu hinterfragen, riskiert Fehleinschätzungen. Denn auch gut durchdachte Diagnostik kann in die Irre führen – wenn gängige Missverständnisse den eigenen Blick auf die Ergebnisse verzerren.
Hier sind vier Mythen, die sich hartnäckig halten – und was wirklich stimmt:
Mythos 1:
„Alle Persönlichkeitstests messen das Gleiche“
Das Gegenteil ist der Fall:
Persönlichkeitstests basieren auf sehr unterschiedlichen theoretischen Modellen – von psycholexikalischen Ansätzen (z. B. Big Five) über typenbasierte Modelle (MBTI & Co.) bis hin zu diagnostischen Verfahren mit impliziten Messmethoden (z.B. IPT).
Manche Tests erfassen v. a. stabile Merkmale („Traits“), andere fokussieren auf situationsabhängiges Verhalten. Die Art der Messung erfolgt häufig selbstbildorientiert. Modernere Ansätze schaffen es, tiefenpsychologisch verankerte Motive sichtbar zu machen.
Fazit: Ohne Verständnis des zugrunde liegenden Modells ist ein Vergleich oder eine Bewertung kaum sinnvoll. Expertise gewinnt nur, wer hinter die Fassenden schaut und wohlüberlegt zum passenden Verfahren greift.
Mythos 2:
„Testergebnisse sind immer objektiv“
Ein weit verbreiteter Irrtum.
Viele Tests – vor allem Fragebögen – beruhen auf Selbstauskünften, die durch verschiedenste Faktoren beeinflusst werden können:
Tagesform & Stimmung
soziale Erwünschtheit („Was klingt besser?“ statt „Was stimmt?“)
Antworttendenzen (z. B. Extreme vs. Mittelwerte)
Selbstbildverzerrung (z. B. durch blinde Flecken oder Idealisierung)
Auch der Kontext – etwa eine Bewerbungssituation – kann Antworten stark beeinflussen, wenn ich ausschließlich nach meiner Einschätzung gefragt werde.
Fazit: Objektivität entsteht nicht allein durch standardisierte Verfahren – sondern durch kluge Kombination von Methoden und Kontextverständnis.
Mythos 3:
„Ein Test reicht aus, um eine Person zu verstehen“
Ein einziger Test ist ein Ausschnitt – kein Gesamtbild.
Wer Menschen in ihrer Komplexität verstehen will, sollte verschiedene Perspektiven einbeziehen:
Selbstbild (Wie sehe ich mich selbst?)
Fremdbild (Wie werde ich wahrgenommen?)
Verhalten (Wie handele ich konkret in Situationen?)
implizite Motive (Was treibt mich innerlich an – oft unbewusst?)
Ein fundiertes Persönlichkeitsprofil entsteht erst durch das Zusammenspiel dieser Faktoren.
Fazit: Moderne Diagnostik ist mehrdimensional – nicht eindimensional.
Mythos 4:
„Ein gutes Ergebnis bedeutet automatisch einen guten Job-Fit“
Ein häufiger Denkfehler – denn:
Ein hoher Wert in einer Dimension (z. B. Extraversion) sagt wenig darüber aus, ob jemand wirklich zur Stelle, zum Team oder zur Unternehmenskultur passt.
Job-Fit entsteht nicht nur aus dem Abgleich mit einem Idealprofil, sondern durch:
Rollenanforderungen
Teamkonstellationen
Organisationskultur & Werte
Entwicklungspotenzial der Person
Ein scheinbar „gutes“ Ergebnis kann sogar kontraproduktiv sein – z. B. wenn eine dominante Führungskraft in ein Team kommt, das Selbststeuerung und eigenverantwortliches Arbeiten gewohnt ist.
Fazit: Persönlichkeit allein sagt wenig über Passung – der Kontext ist das Entscheidende.
Was sagt uns das?
Persönlichkeitstests sind Werkzeuge – keine Orakel
Sie können enorm hilfreich sein – wenn sie richtig verstanden, kritisch hinterfragt und methodisch sinnvoll kombiniert werden.
Unsere Empfehlung:
Nutzen Sie Persönlichkeitstests nicht isoliert, sondern als Teil eines strukturierten, multimodalen Prozesses.
Kombinieren Sie explizite und implizite Verfahren, um Entscheidungen nicht allein auf der Grundlage von Selbstbild und Einschätzung zu treffen.
Ergänzen Sie Tests durch strukturierte Interviews, Verhaltensbeobachtungen und ggf. kognitive Assessments.
Prüfen Sie regelmäßig die Qualität und Aussagekraft Ihrer Instrumente – auch im Hinblick auf Bias, Validität und Reliabilität.
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Erfahren Sie, wie WAfM Diagnostik Unternehmen dabei unterstützt, Persönlichkeit fundiert zu erfassen – differenziert, praxisnah und biasbewusst.



